Feroni – ein toskanischer Kaufmann in Amsterdam

Feroni

Bode-Museum, Staaliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, © gaidaconsult


Ciao a tutti! – Dag allemaal!

Sie werden mich vermutlich nicht kennen. Oder waren Sie schon einmal in Berlin? Auf der Museumsinsel, UNESCO-Weltkulturerbe?

Früher vielleicht im Pergamon-Museum, jetzt durch die James-Simon-Galerie, den imposanten Eingangsbereich von David Chipperfield? Oder im Neuen Museum, bei der ständig von neugierigen Besuchern umlagerten Nofretete?

Auch im Bode-Museum? Etwas abgelegen hinter dem Bahndamm an der Spitze der Insel. Wo kaum jemand hingeht, weil wenig Gemälde zu sehen sind, sondern eigentlich nur langweilige Skulpturen ausgestellt werden?

Vielleicht im Münzkabinett? Wen interessieren schon alte Münzen, außer die Einbrecher, denen es gelang, eine 100 kg schwere Goldmünze, „Big Maple Leaf“, im Wert von 3,3 Millionen Euro heimlich und nächtens abzutransportieren, einfach so. Wird mir sicher nicht passieren. Wer will schon eine alte Terrakotta-Büste.

Am hinteren Ende vom Eingang, von der imposanten Großen Kuppel durch den Gobelinsaal, dann in der Kleinen Kuppel die große geschwungene Freitreppe hoch, rechtsherum, vorbei an den aufgereihten preußischen Königen und Feldherren, dann links eine große Tür, der Saal 134, Italien, Barock, Seicento. – Dort finden Sie mich als: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Inventarnummer 1/79

Bilder erzählen Geschichten; Skulpturen dagegen sind stumm, stehen herum, irgendwo, irgendwie, nackt, ohne Bezug. Im Saal 134 der Skulpturensammlung des Bode-Museums in Berlin stehen zwei Büsten, Fabio Chigi an der einen Wand (rechts), und schräg gegenüber (links) ich, Fabio Feroni, an der anderen, quasi im Blickkontakt.  Absicht? Zufall? Na und?

Bode-Museum, Staaliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, © gaidaconsult

Unsichtbar aber knisternd zwischen uns beiden Figuren entfaltet sich eine unglaublich spannende Geschichte. Ich, Fabio Feroni, Sprößling einer Aufsteigerfamilie aus der Toskana, aber geboren und aufgewachsen in Amsterdam; Fabio Chigi, Vertreter des Vatikans bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden in Münster, später Papst Alexander VII und mein Taufpate.

Eine Geschichte vor dem Hintergrund des Niedergangs der Medici mit Cosimo III, einer Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrisen auf der einen, und weitreichender politischer und damit verbunden territorialer Verschiebungen auf der anderen Seite – Europa hatte sich gerade von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges und der Türkenkriege erholt –  überstrahlt von der Prachtentfaltung der Kirchen und Paläste im Glanz der Kunst des Barock.

Also, ich bin Fabio Feroni, präzise, Marquese Fabio Feroni. Darauf lege ich Wert. Obwohl der Titel Marquese meinem Vater, Francesco Feroni, zu verdanken ist. Denn eigentlich komme ich aus einer zwar wohlhabenden Familie, die sich aber doch erst aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat. Also kein Adel, keine Patrizier, kein jahrhundertealter Stammbaum. Ursprünglich aus Empoli.

Ich kenne Empoli nur flüchtig, quasi im Vorbeifahren, denn ich bin in Amsterdam geboren, habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht. Erst mit 21 Jahren bin ich in die Toscana, dem Land meiner Väter, um es emphatisch zu sagen, gekommen. Ich leugne es nicht, meine Väter stammen aus dem einfachen Volk, vom Dorf.

© gaidaconsult

Daran wird man als Marquese in der feinen Gesellschaft nicht gern erinnert.

Sie müssen sich vorstellen, der Stammbaum der stolzen Florentiner Familien geht bis in das Quattrocento, Trecento zurück. Nehmen wir nur als Beispiel die Medici. Giovanni di Bici, er wird als der Familiengründer angesehen, lebte von 1369 bis 1428. Er war ein Bankier; seine Nachfahren wurden Herzöge, sogar Großherzöge.

Die Wurzeln meiner Familie sind nur bis Mitte des Cinquecento nachvollziehbar, mit Vorfahren, die weder lesen noch schreiben konnten. Und jetzt, gerade mal 150 Jahre später, Marquese, mit mir schon in der zweiten Generation.

Jetzt vermögend. In Florenz mehrere Palazzi unser Eigentum, draußen in Buggiano eine herrschaftliche Villa, Bellavista, die zu den schönsten im Großherzogtum gezählt wurde.

Angesehen, weil vermögend. Gemieden, weil Emporkömmlinge? Dabei haben wir in eineinhalb Jahrhunderten geschafft, wofür andere Familien doppelt so lange brauchten. Es ist leicht zu beurteilen, wie es wirklich gewesen ist, aber wenn man es ernst nimmt, mühsam.

Sie kennen Empoli nicht? Verstehe. Empoli war damals, und ist es auch heute noch, eine kleine, relativ normale Stadt – natürlich waren und sind ihre Bewohner stolz auf sie, deshalb sage ich relativ – im Großherzogtum der Toskana, etwa 30 km von Florenz entfernt, westlich, an den Ufern des Arno, unter seinen häufigen Überschwemmungen leidend, auf halbem Weg zum Tyrrhenischen Meer hin, Richtung Pisa.

Bekannt war sie damals wegen ihrer Leder- und Textilmanufakturen, Spinner, Weber, Gerber, Färber, wie mein Vater. Er hatte es, wie es in der Familie üblich war, gelernt. Können Sie sich ein Leben als Gerber und Färber vorstellen? Alle Jahre immer nur an Farbtöpfen verbringen? Purpur, Indigo, Ocker, Cyan, Schwarz?

Mein Vater konnte es nicht. „Si resterá sempre pesciolini se non ci partiamo dell’Arno”. – „Man wird immer ein kleiner Fisch bleiben, wenn man nicht den Fluss verlässt“. Das war sein Leitspruch. Mein Vater wollte kein kleiner Fisch im Arno bleiben, er suchte das Meer; also ging er.

Er versuchte es bei einer Bank, in Livorno, eine aufstrebende Hafen- und Handelsstadt an der Küste. Mit Geld umzugehen lag ihm mehr als mit Farben. Er entwickelte sich gut. Sein Chef sah es mit Wohlgefallen, denn er holte gutes Geld in die Bank, von anderen Leuten, versteht sich, und gab es wiederum an andere Leute weiter. Das brachte wieder Geld, Zinsen, und der Chef freute sich.

Überraschend verließ er die Bank und die Stadt. Lange Zeit zerbrachen sich die Leute in Empoli darüber den Kopf. Ein junger, tüchtiger, ja, durchaus ansehnlicher Mann, verlässt eine sichere Station auf seinem Lebensweg und geht weg, weit weg sogar. Nicht nach Florenz oder gar nach Rom, wohin es viele zog. Nein, Gott bewahre, ins Ausland, nach Amsterdam, irgendwo im kalten Norden.

Das Gerede machte die Runde, es seien doch wohl auch einige Unregelmäßigkeiten bei seinem Geld-nehmen und Geld-geben vorgekommen. Man sagte, er hätte mehr eingenommen als in den Büchern angegeben. Wo blieb der Rest? So sind die Leute in einer kleinen Stadt.

E che baccano sull caso stran, e che commenti per la città. 200 Jahre später hat es Giuseppe Verdi aus Le Roncole in der Provinz Parma in anderen Noten ausgedrückt.

Mit Geld konnte mein Vater hervorragend umgehen, das zeigte sich später immer wieder. Er wurde einer der reichsten Männer in der Toskana. Nein, nicht in der Toskana, sondern der Toskana. Denn sein Vermögen machte er in Amsterdam. Nicht immer auf redliche Weise, wie man ihm auch hierbei später vorwirft. Ein Geizkragen, „paperone“, Donald Duck, sagt man. Zu den „birbanti“, Spitzbuben, Gaunern, Schurken aus Empoli wird er sogar von lokalen Historikern gezählt.

Aber das kann man immer sagen. Womit verdient man ein Vermögen? Zum eigenen Nutzen, klar, aber auch zum Nutzen anderer, oder nur zu Lasten anderer? Es urteilen die, welche weder die einen noch die anderen sind. Auf jeden Fall hatte mein Vater Prinzipien, und denen blieb er zeitlebens treu, er hat sich selbst nie verraten. Und auch uns, seine Familie, nicht.

Weshalb rede ich überhaupt mit Ihnen? Weil Sie als Leser sich im Moment für mich mehr interessieren als die Besucher im Saal 134 des Bode Museums sonst? Die kennen meine Geschichte nicht. Woher auch? Für die bin ich eine ocker-braune Büste aus gebranntem Ton, wenn man in Saal 134 reinkommt an der linken Wand, mit dem Rücken zum Eisenbahndamm, der uns vom Pergamon und dem Rest der Museumsinsel trennt. Es gibt noch viele Skulpturen im Saal, einige berühmte Männer darunter, vor allem auch Fabio Chigi, als er noch Kardinal war schon ein enger Bekannter meines Vaters.

Bode-Museum, Staaliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, © gaidaconsult

Na und? Ich habe mal die Aufmerksamkeit der Besucher gestoppt. Es kommen wenige. Die Mehrzahl durchquert die gut 30 Meter des Raumes in nicht mehr als 100 Sekunden. Davon brauchen sie mindestens 60 Sekunden, um einige Schnappschüsse von der „Tänzerin“ des Canova – sie steht auch körpergroß, weiß, zugegeben anmutig, unübersehbar in der Mitte – auf ihr Smartphone zu laden. Danach ein, zwei Augenblicke rechts und links und schon ist der Saal wieder leer und wir sind unter uns.

Bode-Museum, Staaliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, © gaidaconsult

Wollen Sie mehr erfahren, ja? nein? Sie kennen das Mantra vieler Autoren an dieser Stelle. Nein? Dann klappen Sie das Buch zu und machen etwas anderes. Aber gehen Sie nicht ins Bode-Museum, denn dann sind Sie auch im Schnellgang durch Saal 134 durch, wie die anderen. Weil Sie meine Geschichte nicht kennen.

Wenn Sie aber weiterlesen und dann im Saal 134 sind, dann bleiben Sie Stunden dort. Sie treffen viele bekannte Gesichter, sie sind in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit, bunt, aufregend. Wir sind für Sie keine leblosen Figuren, sondern richtige Menschen, mit einer Zukunft am Beginn und mit einer Vergangenheit am Ende – denn wir haben gelebt.

Fortsetzung folgt

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