Bethlehem 2.0

Fromme Geschichten

Im gottgesegneten Städtchen Koblenz an Rhein & Mosel fand sich in der Vorweihnachtszeit 2022 eine wichtige Persönlichkeit, von Beruf Professor und bibelkundig, ein und freute sich, wie er den verwirrten Zuhörern ankündigte, „den Weihnachtsglauben ein wenig zu zerstören.“ Was von dem, was seit Generationen geglaubt wird, ist tatsächlich passiert? „Das Wann, Wie, Wo und mit Wem“ könne von der aktuellen Forschung weder dokumentarisch noch archäologisch „als Wahrheit belegt werden.“
Das Lokalblatt (Nr. 292, S.18) brachte tags darauf darüber einen Bericht, dessen Lektüre manchen religiös befindlichen Leser empört, entsetzt oder gar fassungslos zurückließ.
Nun kann man heutzutage wirklich nicht mehr eine Story von Stall, Ochs und Esel, den mancher noch nie im Straßenbild, außer vielleicht bei seinem Mallorca-Urlaub, gesehen hat, verkaufen. Internet-affine Hipster und sich in sozialen Netzwerken tummelnde Nerds ticken anders.
Deshalb muss manches im Mythos entkleidet und vom adäquatem POV aus vorzugsweise im Cyberspace mit Virtual und Augmented Reality auf Laptops, Tablets und Smartphones mainstreamkonform positioniert werden.

Demnach hätte die Weihnachtsgeschichte, über die es lediglich nicht belegte Schilderungen von zwei Evangelisten gibt, die selbst gar nicht als Augenzeugen dabei gewesen sind, sich auch so zutragen können (zum Vergleich mit literarischen Original-Quellen: Google bietet unter „Bibel lesen“ über 8 Millionen Hits an):
Der Engel Gabriel, der als General-Manager zur Vorbereitung extra vom Himmel persönlich geschickt worden war, hatte nicht nur Maria und Joseph über die kommenden Vorgänge zu informieren. Er musste auch dafür Sorge tragen, dass alles professionell vonstattenging, schließlich handelte es sich doch um die Geburt des Sohnes Gottes.
Zwar hatten die himmlischen Heerscharen sich schon in einigen Groß-Events bewährt, etwa beim Zug der Israeliten durch das Rote Meer oder den konspirativen Meetings während der Babylonischen Gefangenschaft. Aber jetzt sollte es ein mehr intimes Ereignis, allerdings mit großer Öffentlichkeitswirkung sein.
Dafür bot sich der Einsatz einer erfahrenen irdischen Event-Agentur an, die aus Gründen des Wettbewerbs unter geeigneten Bewerbern ausgewählt wurde. An dem Pitch beteiligten sich Agenturen aus Athen, Korinth, Ephesus und Damaskus (deren CEO sollte später nach einem spektakulären Namenswechsel und der daraus folgenden intrinsischen Motivation als Chefideologe der neuen Bewegung eine elementare Bedeutung erlangen).
Agenturen aus Jerusalem nahmen nicht teil. Sie behielten sich vor, beim dramatischen Finale in einigen Jahren mit Flash-Mob-Aktionen effektvolle Massenszenen wie Palmwedelwerfen am gleichnamigen Sonntag und „Kreuzige ihn!“ skandierende Protestchöre am darauffolgenden Freitag, filmreif zu organisieren.
Den Zuschlag erhielt die römische Full-Service-Agentur Only4STARS (sic!), deren teambasiertes Realisierungskonzept mit immersiven Akzenten und emotionalen WOW-Effekten (ohne plumpe Bespaßung der Teilnehmer) voll überzeugte. Das Projektmanagement punktete vor allem mit innovativen Ideen für ein total nachhaltiges, zirkuläres Hybrid-Event, dessen ingeniöses Branding und die dadurch aufgewertete Identity einen echten säkularen Mehrwert für den überirdischen Auftraggeber versprachen.
Als ein Key Player, der auf ein sattes Portfolio mit zahlreichen Awards und Zertifikaten verweisen konnte, verfügte Only4STARS in Rom über ausgezeichnete Kontakte zur Politik und zu den Medien, beziehungsweise privaten Meinungsbildnern wie Dichtern und Philosophen. Ausschlaggebend war nicht zuletzt, dass sie anbot, neben einem permanenten Controlling und der Post-Evaluierung des Events ergänzend perspektivisch progressive Marketing- und PR-Aktivitäten mit Heidenbekehrungen, Märtyrern, Heiligen, etc. für die Etablierung einer globalen Glaubens-Community als follow up einzubringen.


Für die Jungfrau Maria, die ja wusste, was ihr als werdende Mutter in Aussicht stand, denn der Engel des Herrn hatte es ihr angekündigt, wurde als männlicher Lebensabschnittsbegleiter nicht ein unbedeutender Zimmermann ausgesucht, der einfache Balken für die armen Leute sägte und zusammenhämmerte. Die Wahl, und damit der Aufstieg in bessere Kreise, fiel auf Joseph. Er war ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer, der edle Materialien, etwa Zedernholz aus dem Libanon und Nussbaum aus dem Kaukasus, bezog, und damit die Villen der Schickeria in Nazareth und Umgebung ausstattete. Sein Ziehsohn, der bis zum 33. Lebensjahr im Unternehmen beschäftigt war und bei den Kunden herumkam, hat auf diese Weise sicher seine generellen Urteile über Arme und Reiche (das mit dem Kamel und dem Nadelöhr zum Beispiel) bestätigt gefunden.
Die Event-Destination, Bethlehem in der Provinz Judäa, war schon alttestamentarisch vorherbestimmt, ein Ort, von dem bisher nur bekannt war, dass der König David dort das Licht der Welt erblickt haben soll. Das benachbarte unvergleichlich repräsentativere Jerusalem wäre zu riskant gewesen, konnten doch Demos von gewaltbereiten Atheisten und antireligiösen Aktivistengruppen nicht ausgeschlossen werden. Es war zu erwarten, dass sie von zwar medienwirksamen aber für das friedvolle Ereignis unangemessenen Polizeieinsätzen auf Geheiß des korrupten Königs Herodes brutal niedergeschlagen würden. Das spätere grässliche Blutbad, das er unter Bethlehems Neugeborenen aus schierer Machterhaltung anrichten ließ, zeigte dann auch sein wahres skrupellos menschenverachtendes Gesicht.
Als Event-Location wählte die Agentur das 4 Sterne plus Hotel and Resort Bethlehem Palace. Allerdings waren sämtliche Suiten bereits vorreserviert, wie es hieß für drei ausländische Delegationen, die dann tatsächlich eintrafen. Zur Verfügung stand jedoch noch eine Dependance des Hotels, ein repräsentativer Bungalow im schattigen Hotelpark mit Designer-Möbeln, Klimaanlage, eigener Sauna, kostenfreiem WLAN, Minibar und bei Vollpensionsbuchung persönlichem Room-Service. Damit wurde jedes spießige Milieu vermieden.
Für die Anreise des Paares wegen der amtlicherseits angeordneten Registrierung – Joseph stammte weitläufig aus dem Hause Davids, sozusagen Halbadel, immerhin – lehnte Only4STARS ein ortsübliches Sammel-Taxi ab und orderte stattdessen eine luxuriöse Limousine eines bekannten Herstellers mit dem sternartigen Marken-Emblem, sowie einen routinierten Chauffeur.
Als es dann soweit war, assistierten zwei erfahrene Hebammen unter Aufsicht eines bekannten Gynäkologen aus Jerusalem, Präsident der Gynäkologischen Gesellschaft von Judäa. Er hatte vor, beim nächsten internationalen Kongress seiner Gesellschaft in einem Impulsvortrag darüber zu berichten. Aber daraus wurde aus unbekannten Gründen nichts. Anhand der publizierten Kongressprotokolle hätte es wenigstens einen historisch belastbaren Beleg für die Vorgänge gegeben.

Das Jesuskind, Gottes Sohn, war auf dieser Welt, unter den Menschen, angekommen.


Telekommunikativ war alles bestens vorbereitet. Unter der eigenen Domain, Geburt@Bethlehem, erfolgte ein kontinuierliches Updating der Ereignisse; außerdem wurde eine Jesuskind-App zum Download im App-Store angeboten. Diskret wurde auch ein Live-Ticker eingerichtet, damit überirdisch alle Abläufe in Echtzeit verfolgt werden konnten.
Die klassischen Medien, Zeitungen und staatliche und private Rundfunk- und TV-Stationen blieben ausgeschlossen (die Yellow Press hatte sich ohnehin schon in ihren Klatschspalten sensationshungrig über das ungewöhnliche Paar aus Nazareth verbreitet). Stattdessen wurden lokale Blogger, Influencer und Youtuber zur Präsentation eingeladen, um ein breites Echo in den sozialen Netzwerken zu erreichen. Alle waren von dem Gesehenen begeistert, kurz, ein Hype! Zahllose #Tweets wurden abgesetzt, Videos und Podcasts ins Netz gestellt und Unmengen Selfies mit Mutter, Vater und Kind hochgeladen.

Die Streitfrage, ob es sich bei den drei ausländischen Delegationen nur um grauhaarige Weise oder doch um richtige Könige handelte, ließ man offen und entschied sich für „weise Könige“, also relativ unproblematische Herrscher, um dem Verdacht kooperativer Kontakte zu autokratischen Regimen mit ihren häufigen Menschrechtsverletzungen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit aus dem Weg zu gehen.
Für ihre online Routenplanung erhielt jeder von ihnen exakte GPS-Koordinaten und eine detaillierte Timeline. Als sie bis Jerusalem gekommen waren, traf sie unvorbereitet ein Netzausfall; orientierungslos kamen sie nicht weiter. Also fragten sie beim royalen Information-Point nach, wo sich denn ein neugeborener König befände. Niemand wusste davon. Selbst dem geheimen Abschirmdienst der römischen Besatzungsmacht war nichts dergleichen bekannt. Herodes, selbst, bis auf seine Stieftochter Salome, kinderlos, aber wurde bleich und sann auf Böses.
Vor ihrer Abreise hatten die drei ihre Hotelunterkunft im preisgünstigeren Bethlehem gebucht. Und da GPS inzwischen wieder problemlos funktionierte, zogen sie weiter. Zu ihrer Überraschung war es dasselbe Hotel, in dessen Bungalow sie das Ziel ihrer Reise fanden. Die Freude war groß. Eilig packten sie ihre Geschenke aus. Caspar hatte angesichts der häufig heftigen Kursschwankungen statt Gold eine beachtliche Summe Bitcoins und andere Kryptowährungen gewählt. Melchior brachte statt Weihrauch Body Lotion (im Doppelpack) und ausgesuchte Duftnoten von Kult-Parfum- und Eau de Toilette-Marken. Schließlich empfahl Balthasar als in Medizinsachen Kundiger statt Myrrhe nebenwirkungsredundante Antibiotika und immunisierende Antivirusimpfampullen.


Die Ereignisse gerieten jedoch unvermutet in einen Krisenmodus. Dem Leiter des himmlischen Security Teams und Chef der Body-Gard Engel war die Info durchgestochen worden, dass in Jerusalem von den Schergen des Herodes eine lebensgefährliche Bedrohung geplant wurde, der nur durch eine Flucht zu entgehen war.

Unverzüglich wurde die Verlängerungswoche im Hotel für die junge Familie gecancelt. Ein geländegängiges Wohnmobil mit ausreichend Proviant konnte beschafft werden; schließlich musste die Halbinsel Sinai (das Navi war auf „Pyramiden/Nil“ voreingestellt) mit der Wüste und einer unzureichenden touristischen Infrastruktur durchquert werden. So lernte der Sohn Gottes am eigenen Leibe kennen, was Flucht und Vertreibung und daraus folgender Migrationshintergrund in der neuen Heimat bedeuten.

Only4STARS sah damit ihren Auftrag als beendet an. Die Fakten waren offengelegt, es wurde nichts vertuscht. Das genehmigte Budget konnte bis auf einen kleinen Überziehungskredit eingehalten werden. Wegen der Kurzfristigkeit hatten keine Sponsoren gewonnen oder wenigstens ein Crowdfunding-Projekt gestartet werden können. Inwieweit die nicht unerhebliche Honorarforderung für die präzise Planung und friktionsfreie Durchführung des außergewöhnlichen Events beglichen wurde, ist nicht bekannt.


Wie jetzt? Engel? Stall? Ochs und Esel? – Ja oder nein? – Wer’s glaubt wird selig, sagt der Volksmund; vielleicht hat er sogar recht. (G/se 060123)

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