Als Neuautor auf der Buchmesse

Wer? Wann? Wo? - Wieso?

Die Erkenntnis kam schnell: ich sah mich wie Mark Twains „Die Arglosen im Ausland“. Alle diese Giganten der Literatur existierten, auch wenn ich nicht gekommen wäre.

Die Buchmesse Frankfurt ist groß und großartig. So viel menschlicher Geist an einem Platz gibt es nicht einmal bei den Koryphäen im Silicon Valley. Und KI wird noch lange brauchen, um dem gleichzukommen. Über 7000 Verlage aus aller Welt; jeder, sagen wir ganz bescheiden, mit nur 10 Autoren, sind 70.000 von denen. In Wirklichkeit sind es viel mehr. Und viele von ihnen sind auf der Messe anwesend. Sie füllen die Gänge, sie sitzen in den Kojen der Aussteller, sie werden erkannt und geben Autogramme. Man geht vorbei, ohne zu ahnen, wieviel Esprit in der Hallenluft schwebt. Wo gibt es das sonst?

Man kann es auch pragmatisch sehen: gut Hunderttausend Tonnen Papier sind in den Messehallen aufgestapelt. Aber ließe sich Kreativität, Phantasie, Ideenreichtum, Erfindungsgabe abwiegen, es wären Millionen. Dafür muss man schon beim Betreten Respekt zollen.
Eine Messe ist ein Markt, auf dem sich Angebot und Nachfrage trifft. Aber sicher nirgendwo sonst gibt es so viel Hoffnung, Sehnsucht, Erwartung, wohl auch Irrtum und Enttäuschung, dass das Angebot auf eine lebhafte Nachfrage trifft, wie auf der Buchmesse.
Und jetzt komme ich als Neuautor und möchte in diese Welt aufgenommen werden. Nun ja, mit offenen Armen habe ich nicht erwartet. Ich habe ein Manuskript, 200 Seiten, DIN A 4, anderthalbzeilig, ein Thema aus unserer Zeit, aber hier offensichtlich nicht ganz mainstreamkonform.

Zwischenbilanz

Zwischenbilanz nach zwei Stunden in Halle 3: einen Verlag habe ich nicht gefunden, aber ich bin entmutigt. Nein, ich habe keinen Krimi, keinen Thriller, keine Selbsterkenntnis für alle Lebenslagen, keine Enthüllung, keine Familiengeschichte, in der die Heldin plötzlich ein großes Geheimnis entdeckt und dessen dunkle Vergangenheit beherzt ans Licht bringt. Ich habe auch nicht „… oder so einen historischen Schinken?“, wie mich eine nette Dame am Informations-Desk einer großen Verlagsgruppe ausforscht, die ich um Auskunft bat, welcher ihrer Verlage für mein Buch eventuell in Frage käme. Leider nein, denn so an 600 oder 800 Seiten mittelalterlicher Abenteuer würde ich nicht zusammenkriegen. Was muss diese Zeit aufregend gewesen sein. Gibt es auch so dicke Schinken über unsere Gegenwart?

Ich suche nach Titeln, in deren Rahmen mein Buch passen könnte. Greife Dutzende der massiv aufgebauten Exemplare aus den Regalen, überfliege den Klappentext, blättere durch die Seiten. „Ach du heilige Scheiße!“ stoße ich auf eine Dialogpassage eines namhaften Verlages. Wenn das ankommt, schreibe ich im falschen Stil. Kein Wunder, wenn das Lektorat mein Manuskript entsorgt.

Beim Stichwort Lektorat eine kleine Anwallung als Wutautor: Ja doch, Verlage lassen sich Manuskripte schicken, kündigen aber gleich an, man müsse mit einer Bermuda-Dreieck-Reaktion rechnen: „Wenn Sie in x Wochen oder y Monaten keine Antwort bekommen, haben wir leider…“ – Ihr Manuskript im Shredder of no return verarbeitet, muss man sich selbst denken. Ist es im digitalen Zeitalter nicht möglich, nach dem internen Daumen runter wenigstens einen Zweizeiler „Sorry“ auf einen einfachen E-Mail-Knopfdruck zu verschicken, anstatt einen im Ungewissen zu lassen? Welche Branche noch kann sich so eine kalte Abfuhr leisten? Immerhin könnte ich ja auch ein (willkommener?) Leser der Verlagserzeugnisse sein. So what?
Wohin man blickt: Welt-Bestseller, Bestseller, Preisträger des…, Preisträger der…, No. 1 auf der XY-Liste, unser Erfolgsautor mit neuem Erfolgsroman, brandneue Buchcover die Ausstellungswände rauf und runter, charaktervolle Gesichter im Großformat, Namen, die man kennt, manchmal sogar gelesen hat, oder die in der F.A.Z. Literaturbeilage besprochen wurden. Ich begreife, nicht gegen Goethe und Schiller, die auch irgendwo präsent sind, muss ich mich als Neuautor durchsetzen, sondern gegen diese Phalanx der etablierten literarischen Granden mit einer eingeschworenen Leser-Community, die sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Woher den Mut nehmen? Nicht aufgeben?

In der „Self-Publishing Area“ in Halle 3.0, K 11, sitzen auf unbequemen Schemeln gut zwei Dutzend hoffnungsvolle Autoren –„Schön, dass Ihr so zahlreich gekommen seid!“ –, um Erfolgstipps über „Die 3 wichtigsten Elemente des Buchmarketings: Titel, Cover, Klappentext“ von einem siebenköpfigen Podium zu erfahren: „Nur der Inhalt zählt? Von wegen!“ – Da kann man wieder Mut fassen!

Vor der Rückfahrt kaufe ich in der Confiserie im Hauptbahnhof, am Gleis 7, ein kleines Päckchen Bethmännchen. Etwas Handfestes will ich doch aus Frankfurt mitnehmen.

Von zwölf Verlagen, denen ich das Manuskript geschickt hatte, haben wenigstens drei geantwortet, etwa:

Ich will Sie auch nicht entmutigen und wünsche Ihnen, dass einer der Kollegen mehr Potenzial sieht, als ich dies tue.
Viel Glück!
Beste Grüße
André Förster

Nein, solche Absagen entmutigen nicht, im Gegenteil, denn man sieht einen kleinen Erfolg darin, dass in dem Manuskript immerhin geblättert wurde.

Ich entschied mich dann für KDP Kindle Direct Publishing bei Amazon und für Tolino als Taschenbuch und e-book. Die Millionenauflage ist zwar noch nicht erreicht, aber alles braucht seine Zeit.
Mich ermuntert eine Geschichte von Franz Kafka, für den ich mich in meinen Jugendjahren begeistert habe. In der vagen Erinnerung: K. geht in Prag an der Buchhandlung Hawlitschek vorbei und stutzt: „ Nanu, gestern waren drei Bücher von mir im Schaufenster, heute keins. Zwei habe ich gekauft, aber wer das dritte?“ (G/se X/18)

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